Von: Shahoo
Hosseini
Im erstickenden Nebel der Kriege verschwimmen oft die klaren Grenzen
zwischen Recht und Unrecht. Was zurückbleibt, ist ein Schlachtfeld, auf dem
Menschen sterben und Mächte profitieren. Gaza, dieses schmale und eingesperrte
Gebiet, ist heute genau so ein Feld der nackten Realität: weder eine Bastion
der Freiheit noch ein Boden der Befreiung, sondern ein lebendes Labor für die geopolitische
Erprobung staatlichen Terrorismus’ durch die Islamische Republik Iran.
Der Niedergang des Mythos des Widerstands
Der palästinensische Widerstand war einst ein Symbol des nationalen Kampfes
gegen Besatzung und Diskriminierung. Von den Fida’i-Gruppen in den 1960er und
1970er Jahren bis zur Ersten Intifada in den späten 1980er Jahren fußte dieser
Kampf auf einer sozialen und nationalen Realität: dem Anspruch auf Land,
Identität und das Recht auf Rückkehr. Diese Elemente verbanden sich zu einem Narrativ,
das nationalen Befreiungskampf mit demokratischen und sozialen Forderungen
verknüpfte.
Doch seit die islamistische Ideologie mit dem von Iran initiierten „Achse
des Widerstands“-Projekt verschmolzen ist, löste sich dieser Kampf allmählich
von seiner nationalen Basis und driftete in den Bereich religiösen
Fundamentalismus ab. Die ideologische Verengung auf einen „Heiligen Krieg“ oder
„Dschihad“ marginalisierte die Forderungen nach Selbstbestimmung und sozialen
Rechten und ersetzte sie durch einen apokalyptischen Kampf gegen vermeintliche
„Feinde des Glaubens“.
Die Entstehung der Hamas in den 1990er Jahren markierte einen Wendepunkt,
der Palästina vom Schlachtfeld des nationalen Befreiungskampfes in einen
Schauplatz eines ideologischen Krieges verwandelte. Anders als die PLO, die –
trotz ihrer Fehler – einen Staat aufbauen wollte, basiert Hamas nicht auf einer
Strategie des Staatsaufbaus, sondern auf einem fundamentalistischen Konzept des
„permanenten Dschihad“. Dieser Wandel öffnete zugleich die Tür für den Einfluss
transnationaler Mächte, allen voran der Islamischen Republik Iran, deren
geopolitisches Interesse nicht die Freiheit Palästinas ist, sondern die
Ausweitung ihres regionalen Einflusses.
Die Islamische Republik und die Geopolitik des Stellvertreter-Terrorismus
Seit den 1980er Jahren verfolgt die Islamische Republik Iran ein
langfristiges Projekt der „Exportrevolution“. Anders als ihr offizielles
Narrativ suggeriert, dient dieses Projekt nicht der Unterstützung der
Unterdrückten, sondern vor allem der Festigung und Ausweitung einer regionalen
Hegemonie auf Kosten nationaler Selbstbestimmung in verschiedenen Staaten und
Völkern.
Teheran baute ein weitverzweigtes Netzwerk von proxy-Gruppen in Ländern wie
Irak, Syrien, Libanon, Jemen und Palästina auf. Diese Gruppen werden
finanziell, militärisch und ideologisch unterstützt, dienen aber in erster
Linie als Hebel zur Durchsetzung iranischer Interessen gegen regionale Rivalen
und globale Mächte wie die USA und Israel.
Im Zentrum dieses Netzwerks spielt Hamas eine strategische Rolle als
Fußtruppe in den Stellvertreterkriegen Irans. Die islamische Republik rüstet
die Gruppe mit Waffen aus, bietet Ausbildung und logistische Unterstützung und
macht sie so zu einem Werkzeug ihrer geopolitischen Agenda. Jeder Konflikt in
Gaza dient Teheran als Instrument, um internationale diplomatische
Druckmechanismen zu umgehen, die öffentliche Meinung in der muslimischen Welt
gegen Israel zu kanalisieren und den Mythos der „Führerschaft des Widerstands“
für sich zu beanspruchen – und das alles, ohne direkte eigene Kosten in Kauf
nehmen zu müssen.
Wenn Menschen zu Geiseln werden
In diesem kalten, gnadenlosen geopolitischen Spiel sind die Menschen in
Gaza die wahren Verlierer. Hamas handelt ohne demokratische Legitimation, ohne
Rechenschaft gegenüber der palästinensischen Bevölkerung oder deren
zivilgesellschaftlichen Strukturen.Die Entscheidungen über Kriegshandlungen und
Raketenangriffe werden von einer Führung getroffen, die nicht gewählt ist und
deren Legitimität selbst unter Palästinensern umstritten ist. Die Folge sind
regelmäßig verheerende israelische Gegenangriffe, die zivile Opfer fordern,
deren Verantwortung jedoch bei Hamas verbleibt. Das Fehlen demokratischer
Mechanismen, die keine Kontrolle der Führung zulassen, verwandelt die
Bevölkerung in Geiseln ideologischer und geopolitischer Machtspiele. Hamas
sieht sich als alleiniger Herrscher über Gaza, agiert jedoch ohne Mandat und
unterbricht so die Grundlage für eine gerechte und demokratische politische
Ordnung.
Diese Realität markiert den postideologischen Moment: den Moment, in dem
Mythen und politische Ideologien zerfallen, die revolutionäre Illusion bricht
und nur noch rohe Machtverhältnisse übrigbleiben. Hamas ist nicht länger die
Stimme der palästinensischen Bevölkerung, sondern das Echo einer weit größeren,
terroristischen
Vom Mythos zur Kritik
Um diese komplexe Situation zu verstehen, bedarf es einer neuen Sprache und
eines neuen analytischen Werkzeugs, das über die vereinfachenden Narrative des
„romantischen Widerstands“ hinausgeht. Wir müssen Macht, Ideologie und Gewalt
als miteinander verflochtene Phänomene in einem geopolitischen Zusammenhang
betrachten.
Theoretische Konzepte wie Althussers „ideologisches Subjekt“, Foucaults
„Genealogie der Macht“ oder Barthes‘ „Mythuskritik“ bieten hierbei fruchtbare
Ansätze, um zu begreifen, wie sich der „revolutionäre Islamismus“ als Maske und
Vehikel hegemonialer Projekte entpuppt.
Die Verklärung des islamistischen Widerstands als moralisch heiliger Kampf
vernebelt die dahinterliegenden Interessen und verschleiert die realen
Machtmechanismen, die die Bevölkerung letztlich zum Spielball machen. Eine
kritische Perspektive ermöglicht es, die ideologischen Schleier zu lüften und
die geopolitische Instrumentalisierung von Konflikten zu enttarnen.
Fazit: Rückkehr zum nationalen Projekt
Der Weg zur tatsächlichen Befreiung Palästinas verläuft weder über Hamas
noch über Teheran. Er führt ausschließlich über die Rückbesinnung auf ein
nationales, demokratisches und modernes Projekt, das die Stimmen und
Bedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung selbst artikuliert und vertritt.
Nur durch den Aufbau von demokratischen Strukturen, die Förderung
zivilgesellschaftlicher Teilhabe und die Entwicklung einer inklusiven
nationalen Identität kann Palästina seine Selbstbestimmung und Freiheit
erreichen.
Die Befreiung aus den Fesseln des „Stellvertreter-Terrorismus“ ist die
Voraussetzung, um wieder von echter Befreiung sprechen zu können – statt von
einem zynischen Geschäft mit Leid und Gewalt.
Bis zu jenem Tag ist klar: Wer Hamas verteidigt, steht nicht auf der Seite
Palästinas, sondern agiert im Interesse Teherans und seiner geopolitischen
Spiele.
